Die Sagen über drei Jahrhunderte

Von der Schnellerts-Sage zur Rodenstein-Sage

Burgruine Schnellerts Turmstumpf
Burgruine Schnellerts Turmstumpf; Autor Haselburg-Müller License: https://commons.wikimedia.org/wiki/Commons:GNU_Free_Documentation_License,_version_1.2

Am Anfang gab es den „Schnellerts-Geist“. Dieser wohnte auf dem Schnellertsberg und zog bei Beginn von Kriegen mit seinem Wilden Heer jedes Mal auf demselben Weg aus, nämlich durch den Bauernhof Haal im nahen Kainsbachtal, von dort in die Ortschaft Brensbach und über Fränkisch-Crumbach zur Burg Rodenstein. Bei Kriegsende ritt er mit dem Wilden Heer dieselbe Strecke zurück. Die Voraussage bevorstehender Kriege verbunden mit akustischen Erscheinungen verbreitete Schrecken unter der Bevölkerung und rief hohe Aufmerksamkeit bei den Regierenden hervor. Die damaligen Grafen von Erbach ließen Zeugenaussagen der Erscheinungen des Wilden Heeres zwischen 1742 und 1796 dokumentieren, weil die Echtheit der Beobachtungen von manchen in Zweifel gezogen wurde. Diese Aussagen wurde bekannt als die "Reichenberger Protokolle."

Im 18. Jahrhundert war die Schnellertsburg so sehr verfallen, dass ihre Reste nicht mehr erkennbar waren. Darüber hinaus fehlte vom Schnellertsherrn eine bildhafte Darstellung. Die Burg Rodenstein (Bild rechts) war als Ruine noch wohl erhalten, und die Grabdenkmäler der Rodensteiner waren in der evangelischen Kirche, der früheren Grabeskirche der Rodensteiner bei jedem Gottesdienst zu sehen. Und so wurde die Schnellerts-Sage bald zur Rodenstein-Sage und erfuhr in der Zeit der Romantik dazu noch eine romantische Bearbeitung.

Es ist der Verdienst der Forschungsgemeinschaft Schnellerts e.V. in Brensbach, dass in mühsamer Arbeit Fundamente von Mauern und Turm der Schnellertsburg restauriert wurden, so dass dieser für unsere Sagen wichtige Ort für Wanderer wieder erkennbar ist.

 

Von der Romantik zum 20. Jahrhundert

In der Zeit der Romantik wurde der Zug des Wilden Heeres Teil der mystisch-romantischen Kernsage über den Rodensteiner (siehe Seite "Die Sagen"). Im Jahr 1806 erweckte eine Leseranfrage an den „Deutscher Reichsanzeiger und allgemeines Intelligenzblatt“ zum Wahrheitsgehalt der Erscheinung eines wilden Heeres im Odenwald die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit und der Dichter, Schriftsteller und Komponisten.

Als Student an der Universität Heidelberg wanderte der später sehr erfolgreiche Dichter  J. v. Scheffel mit seinem Stammtisch mehrfach zur Ruine Rodenstein und verfasste einige ironisch-humorvolle Lieder über den „Herrn von Rodenstein“. Diese Lieder fanden ihren Weg in die Kommersbücher (Gesangbücher) aller deutschsprachigen Studentenverbindungen und werden heute noch gesungen. Die Feier- und Sangesfreude der Studenten wiederum erweckte Begeisterung unter den Militärs, dem Adels und dem Großbürgertum in der zweiten Hälfte des 19. und ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die ebenfalls Veranlassung zum Feiern suchten. Dies führte zur Gründung der „Hohen Gesellschaft zu Rodensteyn“, der unter anderem der Reichskanzler von Bismarck, der spätere Reichspräsident von Hindenburg, die Großherzöge von Baden, Hessen-Darmstadt, Oldenburg und andere mehr angehörten. Der baltische Schriftsteller Werner Bergengruen brachte in seiner überaus erfolgreichen literarischen Bearbeitung die Rodensteinsagen wieder ins Ernsthafte zurück. Nach dem zweiten Weltkrieg hielten zahlreiche Radio und Fernsehsendungen das Interesse an den Rodenstein-Sagen wach.

Auch heute noch . . .

Bild einer Mütze der Sängerschaft der Rodensteiner zu Zürich
Mütze der Sängerschaft der Rodensteiner zu Zürich Bild: Claus Fittschen

Übrigens, in der Schweiz gibt es heute noch zwei Studentenverbindungen, die die Rodensteinsagen in Anlehnung an Bergengruens "Das Buch Rodenstein" und Scheffels Lieder pflegen. Dies sind die "Sängerschaft der Rodensteiner zu Zürich" und die Studentische Verbindung "Die Rodensteiner" in Fribourg. Was für ein bemerkenswerter Zeugnis für die Ausstrahlung der Rodensteinsagen, bis zu diesem Tag - und international!